Aus dem Klinikverbund Südwest

15 Monate Pandemie – Ein Interview zum Tag der Pflege

12.05.2021

Zum Tag der Pflege sprechen zwei Pflegefachkräfte aus dem Klinikverbund Südwest, einem Zusammenschluss der Krankenhäuser der Landkreise Böblingen und Calw, offen darüber, wie sie die letzten 15 Monate erlebt haben. Jennifer Mauch, die an den Kliniken Calw die Bereichsleitung in der Kardiologie und der Covid-Station innehat und Britta Straub, die in der hämato-onkologischen Station in den Kliniken Sindelfingen arbeitet, sind beide auf ganz unterschiedliche Weise vom Pandemiegeschehen betroffen.

In den letzten 15 Monaten wurden allein im Klinikverbund Südwest über 3.600 stationäre Covid-Patienten behandelt. Wie haben Sie das erlebt?
Jennifer Mauch(JM): Als die ersten Fälle nach Deutschland kamen, wurden bei uns vorsorglich ein bis zwei Zimmer freigehalten, falls mal ein Verdachtsfall kommen sollte. Dann ging es Schlag auf Schlag, in Calw wurde der komplette vierte Stock zum Covid-Bereich. Das war schon ein bisschen beängstigend, wir wussten ja nicht, was da auf uns zukommen würde. Ziemlich bald waren wir durchgängig voll belegt. Die Struktur der Station wurde komplett geändert. Es wurden neue Standards eingeführt, neue Überwachungsbögen, die Patientenbeobachtung wurde genauer, intensiver, weil sich der Zustand eines Covid-Patienten sehr schnell ändern kann. Körperlich ist die Arbeit auf der Covid-Station anstrengender: In der Schutzkleidung schwitzt man ziemlich stark und wenn man sie ablegt, ist einem kalt. Auch die psychische Belastung ist höher, denn die Patienten sind alleine, es kommt kein Besuch. Ich habe mich manchmal nicht als Pflegekraft gefühlt, sondern als Tochter oder Enkelin. Auch für sterbende Covid-Patienten war man die einzige Bezugsperson. Es ist nie einfach, wenn Patienten sterben, aber das war nochmal schwieriger, erschütternder.

Britta Straub (BS): Auf der Hämato-Onkologie bin ich am anderen Ende des Geschehens. Aufgrund der Hochdosis-Chemotherapien sind unsere Patienten höchst infektionsgefährdet und dürfen nicht mit Keimen in Berührung kommen. Da sie in der Regel isoliert sind, ist die Arbeit mit Maske und Schutzkittel für uns nichts Neues. Corona überlagert viel, man darf aber nicht die anderen, ebenfalls lebensgefährlichen Erkrankungen vergessen. Für das Pflegepersonal bedeutet das alles eine enorme Belastung.

Sie sind beide an vorderster Front. Wie gehen Sie um mit der erhöhten psychischen Belastung um?

JM: Für mich ist es wichtig, darüber sprechen zu können. Mir ist durch die Pandemie bewusstgeworden, wie wichtig Familie und Freundeskreis sind. Menschen, bei denen ich   Kraft schöpfen kann. Hier in der Klinik sind es die Mitarbeiter. Ich bin nicht alleine, sondern Teil eines Teams, in dem wir zusammenhalten und uns gegenseitig vertrauen. Der Austausch mit Kollegen ist sehr wichtig – natürlich unter Einhaltung der Hygieneregeln.

BS: Wir haben ein sehr gut funktionierendes Team, in dem wir uns gegenseitig unterstützen. Im Sinne der Patienten achten wir darauf, im Privaten derzeit überhaupt keine Kontakte zu haben, um Infektionsquellen zu vermeiden. Da bin ich langsam wirklich am Limit, weil ich seit Beginn auf alles verzichte.

Sind Sie geimpft?
BS: Da wir eine Risikopatientengruppe betreuen, sind wir schon seit einer Weile zweimal geimpft. Das halte ich für ein Privileg.

JM: Bei uns haben die ersten Mitarbeiter schon zum Jahresanfang die Impfung erhalten. Es hatten aber auch einige Corona und die mussten warten. Mich hatte es auch erwischt, inzwischen durfte ich mich impfen lassen. Dazu sehe ich mich persönlich auch in der Pflicht - zum Schutz meiner Familie und der Patienten.

Was haben Sie im letzten Jahr am meisten vermisst im Hinblick auf Corona? Wie hat sich Ihr Leben durch die Pandemie verändert?

BS: Meine Freizeit hat sich, wie gesagt, auf null reduziert. Normalerweise geh ich zwei bis dreimal pro Woche in die Oper oder ins Konzert, treffe mich mit meinem Freund zum Wandern, geh zwei Mal die Woche schwimmen – das ist alles weg. Dadurch ist mir der Ausgleich zur Arbeit auf Station abhandengekommen. Ich merke, dass ich langsam mit meiner Geduld am Ende bin, besonders mit Menschen, die sehr lässig mit den Hygieneregeln umgehen, weil die Pandemie deshalb länger dauert. Ich hoffe, dass alle sich mal zusammenreißen, damit wir das Thema hinter uns lassen können.

JM: Ich bewege mich nur noch zwischen Arbeit und Zuhause. Die Kontakte sind auf ein Minimum eingeschränkt. Eigentlich sehe ich nur die engste Familie. Ich verstehe die Leute, die nach einem Jahr sagen, sie können nicht mehr. Aber wenn ich dann die Covid-Patienten sehe, denen es wirklich schlecht geht, denke ich: Jetzt reißt euch doch bitte noch ein oder zwei Monate zusammen! Ich würde auch gern mal wieder mit meinen Mädels ein Eis essen gehen! Nur zwischen Arbeit und Zuhause pendeln ist manchmal schon ein Kampf.

BS: Wir hatten in letzter Zeit einige Patienten auf Station nach einer überstandenen Covid-Infektion mit schweren Lungenstörungen – ältere Menschen, die vorher noch selbstständig waren und jetzt durch Corona zum Pflegefall wurden.

Wie gehen Sie mit der Aussicht um, dass die Corona-Pandemie für Ihren Berufsstand ein Marathon wird?

JM: Anfangs dachte ich: Die paar Monate kriegen wir rum. Als es dann nach einer kurzen Pause im Sommer wieder losging, habe ich mich gefragt, wie lang wir das durchhalten und schon manchmal gedacht, ich kann nicht mehr. Jetzt, wo die Impfungen an Fahrt aufnehmen, hoffe ich, dass wir uns langsam der Ziellinie annähern. Auch wenn klar ist: Mit Corona werden wir leben müssen.

BS: Ich hatte von Anfang an die Befürchtung, dass es lange dauert. Was mich aber wirklich erschütterte, war, dass keiner einen Plan hatte, wie man mit einer Pandemie umgeht. Nach MERS und SARS muss doch klar gewesen sein, dass so etwas irgendwann einmal kommen würde! Man hat kreativ Lösungen gefunden, bei uns im Verbund war relativ schnell alles abgesperrt und geregelt. Das lief super, aber es gab auf Bundesebene kein fertiges Konzept für den Katastrophenfall. Stattdessen sind wir gefühlt bei null gestartet. Das hat mich geschockt.

Anlässlich des heutigen Tages der Pflege denkt man zurück: Der Applaus auf den Balkonen ist längst verhallt, umgesetzt wurde von den Versprechungen nicht sehr viel. Was wünschen Sie sich von Gesellschaft und Politik?

BS: Von der Gesellschaft, also den Menschen wünsche ich mir mehr Verständnis für unsere Situation als Pflegekraft. Wir sind doppelt betroffen, im beruflichen Alltag und privat, wie alle anderen Menschen auch. Daran denkt zum Beispiel so mancher Besucher nicht. Mir fehlen aber Zeit und Kraft für die sinnlosen Diskussionen zum Beispiel um Besuchszeiten oder den Mundschutz, der auch im Patientenzimmer aufgelassen werden muss. Wir machen die Regeln nicht zum Spaß und ich wünsche mir, dass das respektiert wird.
Außerdem glaube ich nicht, dass Politiker Einblick haben in das tatsächliche Geschehen. Es wird viel geworben, mit mehr Geld und mehr Personal. Letztendlich werden Leute aus dem Ausland geholt, die aber erst eingearbeitet werden müssen. Der Spruch: „Jeder kann pflegen“ stimmt nicht. Pflege ist eine Profession und nicht eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme! Bis qualitativ hochwertige Mitarbeiter zur Verfügung stehen, vergehen Jahre. Schnelle Lösungen, wie die Politik sich das vorstellt, gibt es nicht.

Haben Sie eine Idee, wie man das lösen könnte?

BS: Man muss den Beruf attraktiver machen. Klarstellen, wie wichtig und verantwortungsvoll diese Arbeit ist und auch die emotionale Seite ansprechen: Wenn Patienten zufrieden sind und sich bei einem gut aufgehoben fühlen, dann ist das ein Geschenk und man hat wirklich was geleistet.
 
JM: Ich denke, die Pflege muss auf jeden Fall lauter werden, Pflegekräfte müssen für sich einstehen und sich nicht klein machen. Ohne sie würde im Krankenhaus nichts laufen! Das müssen die Pflegekräfte nach außen tragen. Sich hinstellen und sagen: Ich kann was! Attraktiver machen geht nur über Emotion – und Anerkennung.

BS: Mich stört auch das mangelnde Ansehen in der Gesellschaft. Ich habe lange Jahre in England gearbeitet. Wenn man da sagt, man ist eine „Nurse“, haben die Leute richtig Ehrfurcht, weil sie wissen, was wir leisten. In anderen Ländern ist die Pflegeausbildung ein Studium. In Deutschland noch nicht, ich halte aber schon heute unsere Ausbildung für sehr gut. Pflege ist ein Fachberuf, es gehört sehr viel mehr dazu, als Nachttöpfe leeren und ein bisschen Waschen. In der Gesellschaft wird oftmals ein völlig falsches Berufsbild vermittelt. Das bedeutet, der Personalmangel in der Pflege ist nicht adhoc zu lösen, Geld reicht nicht.

Wie könnte man dieses Bild ändern?

BS: Ich liebe meine Arbeit und kann dafür nur Werbung machen. Aber für viele hat Pflege den Status eines Aushilfsjobs. Viele Pflegekräfte sind demotiviert, weil der Rahmen nicht stimmt und sie neben ihren eigentlichen Aufgaben auch noch andere Bereiche abdecken müssen. Wenn man – wie in Coronazeiten – für die Patienten auch noch Familienersatz ist, kann man nicht noch unnötige Aufgaben gebrauchen.

Stichwort Familienersatz: Da es kaum Besuche geben darf, kommt Pflegekräften häufiger auch diese emotional aufgeladene Rolle zu. Wie gehen Sie damit um?


JM: Bei Patienten, die keine Besuche bekommen, war das auch schon vor Corona so, doch es hat sich verschärft. Auch die Sterbebegleitung ist intensiver, weil man die einzige Kontaktperson ist. Dann sitzt man am Bett und hält die Hand und ist einfach nur traurig, weil man weiß, daheim ist die Frau, die ihn jetzt nicht besuchen darf. Mein erster verstorbenen Covid-Patient war für mich ganz schlimm! Man muss diese Patienten in Leichensäcke packen und den Reißverschluss zumachen. Für mich gehört es immer dazu, die verstorbenen Patienten für die Angehörigen zu richten, als Abschluss und um die Würde des Menschen zu bewahren. Ich richte verstorbene Covid-Patienten trotzdem und kämme ihnen die Haare, aber das Gefühl ist anders, weil man weiß, kein Angehöriger wird ihn nochmal sehen können. Zum Glück ist man damit nicht allein, sondern hat seine Kollegen. So eine Zeit gemeinsam durchzumachen, schweißt das Team zusammen. Auch Gespräche mit Ärzten und Seelsorgern sind hilfreich.

BS: Auf unserer Station dürfen mit einer Sondergenehmigung Angehörige von Sterbenden kommen.

Sie lieben beide ihren Beruf: Warum machen Sie das trotz allem immer noch gern?

BS: Ich freu mich, wenn die Patienten das Gefühl haben, ich betreue sie gut, sie können mir vertrauen, fühlen sich sicher. Das gibt mir das Gefühl, etwas richtig gemacht zu haben und das ist sehr befriedigend!

JM: Für mich ist der Pflegeberuf einer der schönsten Berufe, weil man so viel zurückbekommt und das Gefühl hat, sinnvolle Arbeit zu leisten. Ich darf jeden Tag was anderes machen, Neues dazulernen und mit Menschen arbeiten. Deshalb bin ich froh, den Weg so gewählt zu haben. Auch die Arbeit mit den Kollegen, die trotz aller Belastungen ihr Lachen nicht verlieren – davon ein Teil zu sein, macht mich stolz.