Aus dem Klinikverbund Südwest

Das perfekte Timing ist entscheidend

17.08.2018

Alle Rädchen müssen gut ineinandergreifen, um optimale Therapieerfolge bei Darmerkrankungen zu erzielen. Prof. Dr. Wolfgang Steurer erklärt die interdisziplinäre Vernetzung nun zur Chefsache.

Ein Zentrum für chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (CED) ist es, das der neue Chefarzt der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie mit Proktologie am Leonberger Krankenhaus anstrebt. Die Behandlung von Morbus Crohn und Colitis Ulcerosa will der ausgewiesene Experte auf dem Feld der CED in den Mittelpunkt seines Wirkens stellen. „Der Patient soll Zugang zu allen modernen Therapie-Angeboten erhalten", erläutert er. Hierfür unerlässlich, so Prof. Steurer, seien funktionierende Schnittstellen, etwa der Kontakt zu Selbsthilfegruppen oder zu den niedergelassenen Ärzten, die einen fixen Ansprechpartner benötigen.

Grundsätzlich agiert der Chirurg als letztes Glied in der Behandlungskette: CED-Patienten werden obligatorisch vom Gastroenterologen betreut und treten erst bei Komplikationen oder Therapieresistenz in Kontakt mit dem Chirurgen ─ also dann, wenn die Medikamente nicht mehr anschlagen. Prof. Steurer indes plädiert für eine frühzeitige Vernetzung ─ mit triftigen Gründen: „Die Medikamente zur Unterdrückung der Entzündung sind so potent, dass man die Erkrankung lange hinausschieben kann. Durch die Beeinflussung des Immunsystems ist die Wundheilungs- und Komplikationsrate bei Eingriffen jedoch deutlich erhöht, weshalb wir den Zeitpunkt nicht versäumen dürfen, der für eine Operation optimal ist." Idealerweise sollten sich Internist und Chirurg daher bereits im Vorfeld absprechen. Ziel der interdisziplinären Zusammenarbeit ist also, gemeinsam so zu agieren, dass der Chirurg erst sehr spät zum Einsatz kommt ─ jedoch nicht zu spät. Im Rahmen von sogenannten CED-Boards sollen zudem weitere Akteure wie die Stomaberatung und die psychische Betreuung mit eingebunden werden.

Längst nicht jeder Betroffene sieht indes den OP-Saal von innen. „Es gibt Patienten, die keinen Chirurgen benötigen, weil die Krankheit gut kontrolliert werden kann", weiß Prof. Steurer. So wird bei nur 20 Prozent der an Colitis Ulcerosa erkrankten Patienten eine chirurgische Intervention erforderlich. Bei Morbus Crohn hingegen treten in 70 bis 80 Prozent aller Fälle Komplikationen wie Darmverschlüsse und Blutungen, Fisteln, Abszesse oder das lebensbedrohliche toxische Megakolon auf. Mit einem aggressiveren Verlauf müssen auch jung erkrankte CED-Patienten rechnen. „Mit zunehmendem Alter nimmt die Aktivität der Erkrankung jedoch ab", so Prof. Steurer. Tritt der Akut-Fall dann ein, gilt es stets zu handeln: Meist minimalinvasiv entfernt Prof. Steurer bei Morbus Crohn das befallene Darmsegment, bei Colitis-Ulcerosa-Patienten den gesamten Dickdarm. „Wir versuchen möglichst, die Operation nicht während des akuten Schubs durchzuführen, sondern im Intervall. So können wir die Heilungsraten verbessern", erklärt der Mediziner. Nicht selten kommt es auch vor, dass die Psyche unter den mit der Erkrankung einhergehenden Belastungen leidet. Dann kann eine ergänzende Behandlung in der psychosomatischen Abteilung am Leonberger Krankenhaus einen Beitrag zu mehr Lebensqualität leisten.

Derzeit sind es in Deutschland etwa 150.000 Patienten, die mit der Diagnose Colitis Ulcerosa leben, 100 bis 200 von 100.000 Einwohnern leiden an Morbus Crohn. „In den Industrieländern ist die Tendenz steigend und durch die Industrialisierung der Entwicklungsländer mehren sich die chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen auch dort", erläutert Prof. Steurer. Im Falle von Morbus Crohn liegt das mittlere Alter der Betroffenen bei 33 Jahren, 19 Prozent der Erkrankten sind sogar jünger als 20 Jahre. Da die Symptome sehr unspezifisch sind ─ Bauchschmerzen, Durchfall, Gewichtsabnahme, Fieber ─, verzögert sich die Diagnosestellung oft um bis zu einem Jahr. In 90 Prozent aller Fälle liefern Blutbild, Darmspiegelung und Biopsie einen eindeutigen Befund. Um das Befallsmuster bei Morbus Crohn festzustellen, wird teils auch noch eine spezielle Kernspintomographie erforderlich. Im nächsten Schritt leitet der Gastroenterologe dann die Therapie in die Wege: Im Rahmen eines Stufenkonzepts kommen hier entzündungshemmende und immunmodulierende Medikamente zum Einsatz.

Prof. Steurer betont, dass ein selbstbestimmtes Leben mit der Diagnose CED durchaus möglich ist. „Was die Therapie aber mit sich bringt, ist eine Erhöhung der Infekt-Anfälligkeit", informiert der Chirurg. „Es ist wie nach einer Organtransplantation: Virusinfektionen bis hin zur Lungenentzündung können leichter auftreten." Bei Colitis Ulcerosa bestehe zudem ein deutlich erhöhtes Risiko, an Dickdarmkrebs zu erkranken. Ebenfalls lebensbedrohlich, doch äußerst selten ist das toxische Megakolon: „Fünf Prozent der Patienten mit einem schwerem Schub bekommen es." Tritt dieses Szenario ein, bedarf es einer Notoperation, bei welcher der gesamte Dickdarm entfernt wird.

Unterdessen arbeitet die medizinische Forschung mit Hochdruck an einer Bekämpfung der CED-Ursachen. „Die genauen Gründe für die Entstehung der Krankheit sind noch nicht geklärt", erläutert Prof. Steurer. „Es scheint aber so zu sein, dass die Barriere des Körpers gegenüber der Bakterienbesiedelung des Darmes defekt ist." Noch müssen Betroffene auf den medizinischen Durchbruch also warten. Mit einem präventiven Verzicht auf Nikotin lässt sich das Risiko, an Morbus Crohn zu erkranken, jedoch bereits heute drastisch senken. Positive Effekte erzielt man auch durch physische Aktivität sowie das Vermeiden von Kristallzucker und ungesättigten Fettsäuren. Auch Probiotika, ausreichend Vitamin D und eine ausgewogene Diät empfiehlt Prof. Steurer. Als widerlegt gilt hingegen die These, dass sich die Schübe durch eine Ernährungsumstellung abmildern lassen. An der Erforschung des Barrieredefekts wird langfristig kein Weg vorbei führen.