Aus dem Klinikverbund Südwest

Kinderkliniken der Region schmieden Allianz

19.10.2021
Foto Arzt Doktor Feldhan

Dr. med. Lutz Feldhahn, Chefarzt der Kinderklinik Böblingen

Bessere Vernetzung in Zeiten der Spitzenbelastung

Die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie rasch das Gesundheitssystem unter Druck geraten kann. Dies betrifft insbesondere vulnerable Gruppen, die zwingend auf eine umfassende medizinische Behandlung angewiesen sind. Neben älteren und chronisch kranken Menschen sind dies vor allem auch Kinder und Jugendliche, obwohl diese nur selten schwer an Covid erkranken. Deshalb haben jetzt drei Kinderkliniken aus der Region eine Allianz gebildet, die durch eine verbesserte übergreifende Zusammenarbeit eine optimale flächendeckende Versorgung gewährleistet.

Im Rahmen eines Krisengipfels haben der Ärztliche Direktor der Klinik für Kinderheilkunde des Universitätsklinikums Tübingen, Prof. Dr. Christian Poets, der Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin in den Kreiskliniken Reutlingen, Prof. Dr. Peter Freisinger und der Geschäftsführende Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin beim Klinikverbund Südwest in Böblingen, Dr. Lutz Feldhahn, gemeinsam diskutiert, wie durch ein überregionales Konzept eine maximale Flexibilität der Belegung ohne große Belastung für betroffene Familien gewährleistet werden kann.

„Zusätzliche Belastungen wie die Corona-Pandemie, aber auch der bestehende Fachkräftemangel in der Pflege haben dazu geführt, dass in Zeiten mit Spitzenbelastungen, nämlich im Herbst und im Winter, die räumlichen und personellen Kapazitäten einer einzelnen Kinderklinik sehr rasch erschöpft sein können“, so Prof. Christian Poets. „Da kurzfristige Änderungen im Vergütungssystem nicht zu erwarten sind und die Ressourcen für die Versorgung von Kindern und Jugendlichen somit limitiert sind, haben wir uns nun auf diese Weise zusammengeschlossen“, ergänzt der Reutlinger Chefarzt Prof. Peter Freisinger.

„Oberste Priorität hat eine hochwertige medizinische und pflegerische Betreuung der kleinen Patientinnen und Patienten, unabhängig in welcher der drei Kliniken die Kinder versorgt werden. Dies gilt auch für einen evtl. notwendigen Transport von Klinik zu Klinik“, betont der Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin Böblingen, Dr. Lutz Feldhahn.

Insbesondere nachts und an Wochenenden werden die drei Kliniken in Zukunft enger kooperieren und damit alle vorhandenen Kapazitäten ausschöpfen. Dies soll sicherstellen, dass einerseits eine flächendeckende Versorgung der Bevölkerung in akuten Infektwellen gewährleistet ist, andererseits aber auch die Hochleistungsmedizin für besonders komplexe Fälle gesichert ist.

Die Voraussetzungen für eine solche Kooperation sind gegeben: Die räumliche Distanz ist gering, sowohl die Kinderklinik Böblingen als auch die Kinderklinik Reutlingen sind akademische Lehrkrankenhäuser des Universitätsklinikums Tübingen und somit an der Ausbildung des medizinischen Nachwuchses beteiligt. Persönliche Kontakte unter den drei Einrichtungen erleichtern die Kommunikation zusätzlich. Offen bleibt die Frage, wie stark sich in dieser Saison das Infektgeschehen auswirken wird und wie hoch der Bedarf an einer adäquaten Versorgung im ambulanten und stationären Bereich in den kommenden Monaten sein wird. Durch die verbesserte Zusammenarbeit ist man in der Region allerdings gut gerüstet.

Hintergrundinformationen
Die Kinder- und Jugendmedizin umfasst ein weites Spektrum von Erkrankungen. Akuterkrankungen wie z. B. Infektionen, besonders in den Herbst- und Wintermonaten, zählen dazu, aber auch hoch komplexe Erkrankungen, die in Zentren der Maximalversorgung, meist universitären Zentren, mit großem Aufwand behandelt werden. Zwischen 1991 und 2017 sind die Fallzahlen um 15 % gestiegen, gleichzeitig ist die Bettenzahl bundesweit in der Pädiatrie um mehr als ein Drittel gesunken. Gerade in Spitzenzeiten, also in der Infektsaison, müssen deshalb Kinder mitunter an andere Kliniken in teilweise unzumutbarer Entfernung verwiesen werden.

Flexible Ressourcen vorzuhalten können sich Krankenhäuser aufgrund ihres knappen Budgets meist nicht mehr leisten. Dies betrifft insbesondere den teuren Intensivbereich. Die zeit- und personalintensive kinder- und jugendmedizinische Versorgung im stationären Bereich wird durch das Fallpauschalensystem nicht adäquat abgebildet. Der vermehrte Aufwand in der Pädiatrie liegt auf der Hand: Neben der Versorgung der erkrankten Patientinnen und Patienten müssen Eltern informiert und in die Behandlung einbezogen werden. Einfache Maßnahmen wie etwa eine Blutentnahme erfordern im Erwachsenenalter wenige Minuten, bei Kindern ist ein vergleichbares Vorgehen weder zumutbar noch machbar (stattdessen: Bei Kindern kann dies um ein Vielfaches länger dauern). Die Zahl akuter Erkrankungen im Kindesalter ist weit höher als im Erwachsenenalter, die Notfallquote liegt deutlich über 50 %. Fachgesellschaften wie die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) haben auf diese Unterfinanzierung wiederholt hingewiesen und eine auskömmliche Vergütung pädiatrischer Leistungen gefordert. Nicht zuletzt diese öffentliche Diskussion hat dazu geführt, dass auf politischer Ebene erste Gegenmaßnahmen eingeleitet wurden.

Mittelfristige und dauerhafte Konzepte zur Verbesserung der Versorgung von Kindern und Jugendlichen sind eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Trotz lokaler Initiativen wie der geschilderten Kooperation der Kinderkliniken in der Region sind alle politisch Verantwortlichen weiter gefordert, nachhaltige Lösungen für die Kinder- und Jugendmedizin insbesondere im Hinblick auf den hohen Anteil an Notfallpatienten und -patientinnen in der Infektsaison zu entwickeln.