Das Ausland macht es uns schon lange vor, hier ist die Akademisierung der Pflege längst etabliert oder zumindest auf dem Vormarsch. Deutschland hingegen hinkt, was den Einzug von Forschung und Lehre in dieses Berufsfeld angeht, im europäischen Vergleich noch hinterher. Dabei wäre angesichts der demographischen Entwicklung und des Fachkräftemangels schon längst akuter Handlungsbedarf.
Der Klinikverbund Südwest geht jetzt mit einer weiteren Bildungspartnerschaft gemeinsam mit der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) neue Wege und bietet ein dreijähriges duales Studium inklusive Bachelorabschluss mit Management-Schwerpunkt an.
„Fachkräfte in Pflegeberufen sehen sich heute mit immer neuen und größeren Herausforderungen konfrontiert: Die Komplexität der Patientenversorgung nimmt aufgrund der alternden Bevölkerung und der rasanten Entwicklungen auf dem Gebiet der Medizin immer mehr zu. Nicht zuletzt bringen auch die wachsende sektorenübergreifende Versorgung sowie die Digitalisierung im Gesundheitswesen neue Aufgaben mit sich und fordern von Pflegekräften Verständnis und Kompetenz zunehmend auch in neuen Themenfeldern. Im Klinikverbund Südwest haben wir erkannt, dass Pflege zukünftig mehr können und auch dürfen muss.“, betont der medizinische Geschäftsführer des Klinikverbundes Südwest, Dr. Jörg Noetzel. „Wir wollen hier eine Vorreiterrolle in der Region einnehmen. Uns ist es daher ein äußerst wichtiges Anliegen, unseren Mitarbeitern in der Pflege die Möglichkeit zu geben, sich akademisch weiterzubilden und ein Studium zu absolvieren. Hierbei geht es nicht nur um die akademische Weiterentwicklung und Qualifikation für Führungs- und spezielle Fachpositionen, sondern auch – und das ist uns wichtig – für die „Pflege am Bett“. Dabei gehen wir schon seit längerem neue Wege, wandeln verschiedene Weiterbildungsmöglichkeiten in akademische Kurse um, bieten ein Kontaktstudium zum „hineinschnuppern“ in ein Studium an und unterstützen unsere Mitarbeiter auch z.B. mit Freistellungen von der Arbeitszeit oder finanziell. So erweitern wir ständig unser Angebot – im Sinne unserer Mitarbeiter, aber vor allem auch der Patienten: Die wissenschaftliche Perspektive, sprich das kritische Hinterfragen von Prozessen und Anwendungen, eine durch Forschung fundierte Weiterentwicklung der Pflege, klinische Entscheidungsfähigkeit usw., wirken sich letzten Endes positiv auf die Qualität der Patientenversorgung aus. Die Partnerschaft mit der DHBW ist hier ein wichtiger, neuer Baustein.“
Auch Prof. Dr. Anke Simon, Studiendekanin und Studiengangleiterin für BWL-Gesundheitsmanagement und Angewandte Gesundheits- und Pflegewissenschaften sowie Katrin Heeskens, Studiengangmanagerin für Angewandte Pflegewissenschaft bei der DHBW in Stuttgart, sehen in der Zusammenarbeit mit Kliniken viele Vorteile: „Die duale dreijährige Ausbildung in der Pflege kombiniert mit dem dualen Studiengang Angewandte Gesundheits- und Pflegewissenschaft ist im Klinikverbund Südwest bereits seit längerem etabliert. 2020 werden hier die ersten Absolventen den Abschluss machen. Darüber hinaus können Mitarbeiter des Verbundes in einer Kooperation an der DHBW jetzt auch berufsbegleitend ein dreijähriges duales Studium absolvieren und einen Bachelorabschluss mit Management- oder Fach-Schwerpunkt erlangen. Unterstützt werden die dual Studierenden dabei mit einer 20-prozentigen Freistellung von ihrer Arbeitszeit. Wir sind der festen Überzeugung, dass solch innovative und neue Konzepte eine Antwort auf den Pflegemangel sind, indem das gesamte Berufsfeld moderner und vielschichtiger wird und hochqualifizierten Fachkräften akademische Weiterentwicklungs- und Aufstiegsmöglichkeiten eröffnet werden.“
Pflegedirektorin Elvira Schneider sieht hierin vor allem einen wichtigen Baustein, um auch das Selbstbewusstsein der Pflege zu stärken: „Der akademische Titel, den die Pflegekräfte mittels des Studiums erwerben, sorgt neben anderen Kompetenzen auch für eine Aufwertung des Berufsbildes. Diskussionen können anders geführt werden, so erhält die Berufsgruppe auch innerhalb des Krankenhausgefüges mehr Akzeptanz und Anerkennung.“ Jedoch sind sich momentan viele Mitarbeiter noch unsicher, ob ein vollwertiges Studium tatsächlich für sie in Betracht kommt. „Um diese Hemmungen abzubauen, bieten wir im Klinikverbund Südwest zudem das Kontaktstudium von einem Semester, ebenfalls an der DHBW, an. In diesen sechs Monaten erwerben die Mitarbeiter Kenntnisse in einem bestimmten Fach- oder Führungsmodul und erhalten dafür ein Zertifikat sowie Credit Points, die sie sich für ein späteres Studium anrechnen lassen können. So bilden sich die Mitarbeiter zertifiziert weiter und können gleichzeitig in das Bachelorstudium hineinschnuppern. Und um finanzielle Hürden abzubauen, bieten wir z.B. auch die Übernahme von Studienkosten bei anderen Studienmodellen (z.B. einem Fernstudium) an.“
Obwohl die Akademisierung bei den Arbeitgebern und in der Politik äußerst positiv gesehen wird, entstehen durch die damit einhergehenden Kompetenzveränderungen auch viele Unsicherheiten und Ängste. Was passiert mit meinem Aufgabengebiet? Werden mir Kompetenzen aberkannt, wenn ich nicht studiere? Ist meine langjährige Erfahrung im Beruf weniger Wert als ein Bachelorabschluss? Dr. Jörg Noetzel ist sich bewusst: „Natürlich ist es wichtig, sich nicht nur wegen der Akademisierung, sondern auch wegen des Fachkräftemangels über die Arbeitsteilung und Aufgabengebiete immer wieder Gedanken zu machen und neue Konzepte zu entwickeln. Im Verbund erarbeiten wir deshalb gemeinsam mit rund 50 Mitarbeitern aus allen Pflegeberufsgruppen von allen Standorten – von Auszubildenden über die Stationssekretariate bis zu den Pflegedienstleitungen – ein Konzept für die Umsetzung eines Kompetenzstufenmodells. Ziel ist es, klar definierte Aufgabenpakete zu schnüren und die dafür benötigten Kompetenzen und zugehörigen Qualifikationen festzulegen, hierbei muss die langjährige Berufserfahrung ebenso berücksichtigt werden wie ein Hochschulabschluss.“ Elvira Schneider stimmt zu: „Nur durch die intensive Thematisierung und gemeinsame Erarbeitung der Kompetenzstufen mit unseren Mitarbeitern können wir Vorbehalte und Ängste wahrnehmen und diesen begegnen – im besten Fall natürlich diese ausräumen.“ Darüber hinaus legt Elvira Schneider besonderen Wert darauf, den Bachelorabsolventen einen guten Start in den Beruf zu ermöglichen: „Wir dürfen nicht vergessen, dass ein Berufseinsteiger noch viel zu lernen hat. Auch ein Bachelorabsolvent lernt unglaublich viel von erfahrenen Kollegen genau wie anders herum. Darum möchte ich unsere Mitarbeiter dahingehend sensibilisieren, eine gegenseitige Lernkultur zu leben – immer mit dem vordringlichsten Ziel: Die Arbeit am Bett, sprich mit den Patienten, für alle Seiten bestmöglich zu gestalten.“