Das Interdisziplinäre Zentrum für Dialysezugänge des Klinikums Sindelfingen-Böblingen ist seit Februar 2019 als Regionales Shuntzentrum zertifiziert. Damit nimmt Dr. Dr. med. habil. (RUS) Viktor Reichert, Chefarzt der Klinik für Gefäßchirurgie neben nur zwei weiteren zertifizierten Shuntzentren in Baden-Württemberg eine wichtige Vorreiterrolle ein. Wie wichtig die interdisziplinäre Zusammenarbeit in der modernen Shuntchirurgie ist, verdeutlicht ein Blick auf die Zahlen: In der Bundesrepublik Deutschland werden jährlich ca. 8,5 Millionen Dialysen bei ca. 81.000 Dialysepatienten durchgeführt. Die Zahl der Typ II-Diabetiker steigt kontinuierlich und somit auch die Zahl der älteren und oftmals multimorbiden Dialysepatienten. Mittlerweile liegt das Durchschnittsalter von Dialysepatienten bei rund 70 Jahren. In diesem Alter sind die Gefäße oft schon vorgeschädigt. Wer jedoch auf eine regelmäßige Blutwäsche oder Dialyse angewiesen ist, um die Entgiftungsfunktion der Nieren zu unterstützen oder gar zu ersetzen, benötigt einen belastbaren Gefäßzugang.
Jedoch kann nur eine begrenzte Anzahl von Gefäßen zur Anlage eines Shunts, über den die Dialyse durchgeführt wird, verwendet werden. „Der Gefäßzugang bleibt dadurch die Achillesferse für die Hämodialyse“, beschreibt Dr. Reichert die Herausforderung. Oberstes Ziel bei der Behandlung von Dialysepatienten ist es darum, den vorhandenen Zugang möglichst lange funktionsfähig zu halten. Die Entwicklungen der letzten Jahre in der modernen Shuntchirurgie bieten heutzutage eine ganze Reihe von Lösungen von der Neuanlage bis zum Erhalt und der Reparatur des Gefäßzugangs an.
Um der Betreuung der Dialysepatienten gerecht werden zu können, arbeitet im Klinikum Sindelfingen-Böblingen ein interdisziplinäres Team, bestehend aus Nephrologie-, Radiologie-, Gefäßchirurgie- und Pflege-Experten eng zusammen, mit dem Ziel einerseits bei größtmöglicher Wohnortnähe flächendeckend die Erstanlage von optimalen Gefäßzugängen zu gewährleisten, gleichzeitig aber auch die Behandlung von Komplikationen auf fachlich hohem Niveau rund um die Uhr sicher zu stellen. Dass dies gelingt wurde nun auch von der Deutschen Gesellschaft für Angiologie (DGA), der Deutschen Gesellschaft für Interventionelle Radiologie und minimalinvasive Therapie (DeGIR), der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin (DGG) und der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie (DGfN) offiziell bestätigt und zertifiziert.
Der Patient weiß dank der Zertifizierung: Die Abläufe sind besser eingespielt und laufen reibungsloser als in Kliniken, die kein Shuntzentrum betreiben. Die Patienten werden, nach einem klar festgelegten Verfahren, von verschiedenen Experten untersucht und behandelt. Dank der Spezialisierung auf Shuntchirurgie im Klinikum Sindelfingen-Böblingen und der ausgewiesenen Expertise in der arteriellen und venösen Chirurgie ist es möglich, auch technisch schwierige Fälle erfolgreich zu therapieren. Im Idealfall kann ein Shunt so bis zu 20 Jahre erhalten und genutzt werden.
„Als zertifiziertes regionales Shuntzentrum gewährleisten wir eine ständige Erreichbarkeit und eine 24-Stunden-Interventionsbereitschaft für eine kompetente und rasche Behandlung von Dialyse-Patienten“, erklärt Dr. Reichert. Neben einer Shunt-Sprechstunde stehen ein Shunthandy zur Kontaktaufnahme rund um die Uhr sowie feste Ansprechpartner bei Rückfragen zur Verfügung. „Durch interdisziplinäre Visiten, Therapiestrategien und regelmäßige Shuntkonferenzen können wir die Qualität und Versorgung der Shunts sicherstellen“, so der Experte für Dialysezugänge. „Angesichts der steigenden Zahlen der Dialysepatienten sind wir damit auch auf zukünftige Entwicklungen gut vorbereitet.“ Im Jahr 2018 wurden am Klinikum Sindelfingen-Böblingen rund 200 Patienten mit einem Dialyseshunt versorgt.
Hintergrund:
Um einen Dialyseshunt anzulegen, verbindet der Shuntchirurg operativ eine Arterie mit hohem Blutfluss direkt mit einer oberflächlich liegenden Vene des Patienten. Im Laufe von rund sechs Wochen nach der Operation „reift“ diese sogenannte Shuntvene zu einem großvolumigen Gefäß. An dieses nun oberflächlich liegende Gefäß mit großem Blutfluss können dann die Dialysekanülen für eine Hämodialyse – also eine Blutwäsche über ein externes Filtersystem – angeschlossen werden. Der Dialyseshunt gewährleistet so einen ausreichenden Blutfluss, um die Blutwäsche effektiv durchführen zu können. Am Häufigsten wird ein Dialyseshunt am Handgelenk oder am Oberarm des Patienten ausgebildet.