Aus dem Klinikverbund Südwest

Wenn der Start ins Leben zu früh erfolgt

09.11.2023

Martina Strölin, Bereichsleiterin Neonatologische Intensivstation und Dr. Lutz Feldhahn, geschäftsführender Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, Kliniken Böblingen.

Am 17. November ist Welt-Frühgeborenen-Tag, Vielerorts werden als Zeichen der Verbundenheit öffentliche Bauten purpurfarben angestrahlt.

Wird ein Kind vor der 37. Schwangerschaftswoche geboren, gilt es als Frühgeburt. Doch selbst Kinder, die schon vor der 26. Schwangerschaftswoche geboren werden, haben oft gute Überlebenschancen, wenn sie von Anfang an in einem hoch spezialisierten Zentrum zur Versorgung von Früh- und Neugeborenen betreut werden.

In solchen Perinatalzentren finden sich Geburtshilfe und Neugeborenen-Intensivstation unter einem Dach. Das Ziel: Die drohende Frühgeburt möglichst weit hinauszuzögern, denn Frühstarts haben Folgen – für das Kind wie für die Eltern. Anschließend gilt es, dem Kind zum bestmöglichen Start ins Leben zu verhelfen.

„Wichtig ist, dass wir trotz drohender Frühgeburt versuchen, die Schwangerschaft möglichst lange aufrecht zu halten. Manchmal reicht hierzu auch ein abwartendes Vorgehen. In anderen Fällen ist eine aktive medikamentöse Unterdrückung der Wehen erforderlich, die häufig kombiniert wird mit Cortison, welches die Entwicklung der kindlichen Lunge anregt und beschleunigt“, erklärt Prof. Dr. Stefan P. Renner, Chefarzt der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe an den Kliniken Böblingen. Denn in diesen Schwangerschaftswochen verbessert jeder Tag im Mutterleib die Chancen des Frühgeborenen. Gemeinsam mit seinen Kollegen, Dr. Lutz Feldhahn und Dr. Gerald Nachtrodt, Chefärzte der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin an den Kliniken Böblingen leitet er das Perinatalzentrum, LEVEL 1, an den Kliniken Böblingen. Level 1 steht dabei für die höchste Versorgungsstufe, die aufgrund der nachgewiesenen Kompetenz und Ausstattung vergeben werden kann. „Wenn die Geburt nicht mehr aufzuhalten ist, schaffen wir gemeinsam die Grundlagen dafür, dass sich das Kind trotz eines Frühstarts gesund entwickeln kann“, fasst Dr. Lutz Feldhahn den Grundsatz der Arbeit im Zentrum zusammen.

Manche Frühgeburt ereignet sich jedoch unerwartet, weshalb ein hoch spezialisiertes Team 24 Stunden am Tag zur Verfügung steht. Dies garantiert auch und vor allem die neonatologische Intensivstation, die sich Wand an Wand zu Kreißsaal, Kaiserschnitt-OP und Erstversorgungsraum befindet. Kommt es zu einer Notsituation, wird sofort reagiert, denn der Faktor Zeit spielt bei der Geburt eine entscheidende Rolle. Mutter und Kind bleibt die Anstrengung einer Verlegung erspart.

Neben Frauenärztinnen und -ärzten, Hebammen und Pflegekräften zählen die spezialisierten Ärztinnen und Ärzte der Kinderklinik (Neonatologen) und die Pflegekräfte mit der Zusatzausbildung pädiatrische Intensivpflege der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin zum interdisziplinären Team. Hinzu kommen Anästhesisten und Ärzte, die rund um die Uhr zur Verfügung stehen. Wo es notwendig ist, komplettieren Stillberater, Sozialarbeiter, Psychologen und Seelsorger die Runde. Wöchentlich findet eine perinatologische Konferenz statt, bei der „Problemfälle“ ausführlich interdisziplinär erörtert und gemeinsam ein Behandlungsplan erstellt wird. „Nur durch eine funktionierende interdisziplinäre Zusammenarbeit ist ein gutes Ergebnis in der Betreuung von extrem unreifen Frühgeborenen zu erzielen “, erläutert Dr. Gerald Nachtrodt, ebenfalls Chefarzt der Kinderklinik und Leiter der neonatologischen Intensivstation.

Innerhalb des Klinikverbundes Südwest werden auch die Entbindungskliniken Calw, Herrenberg und Leonberg mitbetreut. Der Babynotarztwagen ist rund um die Uhr, an 365 Tagen im Jahr, einsatzbereit. Die neonatologische Intensivstation zählt damit zu den fünf größten Einrichtungen in ganz Baden-Württemberg. Jährlich werden mehr als 800 Früh- und Neugeborene auf der Intensivstation behandelt.

In Deutschland liegt die Frühgeburtenrate bei etwas über 9 Prozent. Die Ursachen sind unter anderem Erkrankungen oder Fehlbildungen sowohl bei Mutter also auch beim Kind. Aber auch äußere Umstände wie psychische Überbelastung der Mutter oder sozial und wirtschaftlich schwierige Umstände können eine Frühgeburt begünstigen. Die Folgen sind weitreichend, die unreifen Organe können ihre Aufgabe nicht übernehmen, es kann zu Hirnblutungen oder einem unterentwickelten Immunsystem kommen. Solche Folgen können lebenslängliche Einschränkungen nach sich ziehen und stellen eine Herausforderung für die Betroffenen dar. Die EFCNI (European Foundation for the Care of Newborn Infants) hat es sich zum Ziel gesetzt, für die Situation und die Schwierigkeiten, denen Mutter und Kind im Falle einer Frühgeburt ausgesetzt sind, zu sensibilisieren und die Bedingungen für Frühgeborene und deren Angehörige europaweit zu verbessern. Der Welt-Frühgeborenen-Tag ist eine von EFCNI initiierte Aktion, um das Thema ins Bewusstsein der Gesellschaft zu rücken, immerhin stellen die ca. 60.000 Frühgeburten pro Jahr die größte Kinderpatientengruppe in Deutschland.