Aus dem Klinikverbund Südwest

Bundesweites Krebsregister: Daten, die Leben retten können

16.08.2023
Bild: Prof. Dr. med. Stefan Rolf Benz

Wenn alles nach Plan läuft, startet 2024 endlich ein bundesweites Krebsregister, das erstmals auch mit konkreten Behandlungsdaten arbeitet. Der Clou dabei ist, dass die Daten dort nicht gespeichert, sondern jeweils speziell für einzelne Projekte zusammengeführt werden. Einer der entscheidenden Köpfe dahinter ist Prof. Dr. Stefan Benz, Chefarzt im Klinikum Böblingen. Er berichtet vom langen Weg von der Idee zur Umsetzung – und von den Vorteilen, die sich für Patienten daraus ergeben.

Jedes Jahr erkranken in Deutschland eine halbe Million Menschen an Krebs. Doch Krebs ist nicht gleich Krebs: Die Krankheit kann alle möglichen Bereiche des Körpers befallen und sich unterschiedlich entwickeln. Manche Formen und Stadien sind mittlerweile gut therapierbar – bei anderen sucht man weiter nach Möglichkeiten der Behandlung.

Neue Therapien werden in der Medizin meist in sehr aufwendigen, langwierigen und damit kostspieligen randomisierten Doppelblindstudien untersucht. Bei der Geschwindigkeit und der Vielzahl der Fragen reichen diese aber bei weitem nicht mehr aus, um gesicherte Empfehlungen für die beste Therapie in einer bestimmten Situation zu geben, wie dies in Leitlinien gefordert ist. Daten aus der Patientenversorgung können, zusammen mit modernen statistischen Analysemethoden und der Anwendung künstlicher Intelligenz, diese Lücke zunehmend füllen. Dafür braucht es aber Daten über die Erkrankungen und ihre Verläufe, und zwar möglichst viele. „Ideal wäre dafür eine bundesweite Erfassung von Krebserkrankungen, die es heute so noch nicht gibt. Denn je größer der Datenpool ist, desto besser können wir die Krankheit in all ihren Facetten erforschen“, erklärt Prof. Dr. Stefan Benz, Chefarzt der Klinik für Allgemein-, Viszeral-, Thorax- und Kinderchirurgie am Klinikum Sindelfingen-Böblingen. In seiner Funktion als zweiter Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren ist Benz zudem einer der Köpfe hinter dem neuen bundesweiten Krebsregister: „2024 werden wir hoffentlich am Ziel sein. Dann werden wir eine Institution haben, in der alle Daten, die in der Krebsmedizin erhoben werden, zusammengeführt und ausgewertet werden können. Das ist ein Riesenschritt für die Krebsforschung in Deutschland und ganz konkret für alle Krebspatienten, denen bessere Therapieempfehlungen gegeben werden können.“ 

Ein langer Weg

Sollte es kommendes Jahr starten, hat das bundesweite Krebsregister einen sehr langen Weg hinter sich. Anfang der 2000er startete im Saarland eine erste systematische Erfassung von Krebs-Krankheitsdaten und noch viel früher in der ehemaligen DDR. „Allerdings waren das sogenannte epidemiologische Krebsregister“, erklärt Benz. „Dabei werden nur Postleitzahl, Art des Krebses und Überlebenszeit erfasst.“ Wichtige weitere Daten fehlen: etwa das Stadium der Erkrankung, welche Behandlung eingeschlagen wird, ob operiert wurde. Ohne diese Angaben können Forschende wenig ausrichten.

„Für uns als Kliniker und Krebsforscher ist die Frage relevant, ob man etwas an der Behandlung verbessern kann. Das geht mit diesen epidemiologischen Daten nicht.“ Doch die Idee eines Krebsregisters mit klinischen Daten nahm dennoch Fahrt auf, auch dank der Initiative der deutschen Tumorzentren. Im Nationalen Krebsplan 2008 wurden flächendeckende Krebsregister mit klinischen Daten beschlossen. Darin sollen alle relevanten Informationen zusammengeführt werden, also: Patient, Diagnose, Stadium, Operationen, Komplikationen, Chemotherapien, Bestrahlungstherapien, gegebenenfalls Rückfälle, und wenn verstorben, woran.

Föderaler Aufbau

Doch die Sache wurde durch den Föderalismus verkompliziert: 2013 wurde die Krebsregisterfrüherkennung zwar flächendeckend eingeführt – allerdings auf Ebene der Bundesländer. Bestehende epidemiologische Krebsregister wie in Baden-Württemberg wurden umgebaut und erweitert. Benz erklärt den Zwischenschritt: „Die Aufbauphase hat gedauert und ist jetzt abgeschlossen. Inzwischen ist das Krebsregister für alle Bundesländer verpflichtend, auch wenn es immer mal wieder Querelen um die Finanzierung gab.“

Mit dem Wechsel des Vorsitzes der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren im Jahr 2018 drehte sich dann der Wind. Benz erinnert sich: „Für meine Kollegin Prof. Dr. Monika Klinkhammer-Schalke als neue Vorsitzende und mich als damals frisch gewählten zweiten Vorsitzenden stand ganz klar fest: Wir müssen dringend dafür sorgen, die Register sinnvoll bundesweit zusammenzuführen!“

Das Robert Koch-Institut (RKI) hatte zu diesem Zeitpunkt bereits bundesweite epidemiologische Daten zu Krebserkrankungen in der deutschen Bevölkerung. „Wir haben dann zusammen mit der Deutschen Krebsgesellschaft und der Krebshilfe einen Brief an den damaligen Gesundheitsminister Jens Spahn formuliert“, berichtet Benz. „Die Kernbotschaft war: Wir haben zwar Daten aus ganz Deutschland, aber sie können für bundesweite Forschungsmaßnahmen nicht genutzt werden, weil sie in den Ländern versanden.“

Doppelte bundesweite Lösung

Das Team legte ein Kurzkonzept bei, wie sie sich die Nutzung vorstellten. „Wir brauchen eine Plattform, die die Daten bündelt und Interessenten – wie etwa Universitäten – einen niederschwelligen Zugang ermöglicht“, fast Benz die Kernidee zusammen. „Spahn lud uns ein, wir saßen zu fünft am Tisch. Seine erste Frage war: Warum gibt es das noch nicht?“ Der damalige Gesundheitsminister schlug daraufhin vor, das bestehende epidemiologische Register am RKI mit klinischen Daten auszubauen. Die Krankenkassen würden dann dafür zahlen und das Gesundheitsministerium könne über die Verwendung bestimmen, so sein pragmatisches Argument.

Benz und seiner Kollegin ging der Vorschlag jedoch nicht weit genug: „Das erfüllt unseren Anspruch an das kreative Forschen nicht. Mit einem solchen statischen Datensatz in RKI-Hand können wir die Fragestellungen, die wir in den Leitlinien zur Krebsbehandlung aufwerfen, nicht beantworten.“ Beispielsweise ließe sich anhand solcher riesigen Datensätze erstmals zeigen, für welche Patientengruppen in einer spezifischen Situation eine Chemotherapie oder eine Operation sinnvoll ist und – vielleicht noch wichtiger – für welche nicht. Dafür braucht es aber einen strukturierten, gesicherten Zugang zum Krebsregister und vor allem mehr Flexibilität in der Datenzusammenstellung und den Auswertungsmöglichkeiten.

Vernetzte Information

Das Ergebnis der Initiative von Prof. Benz und seinen KollegInnen ist nun eine bundesweite Doppel-Lösung, die 2021 im Krebsregisterzusammenführungsgesetz beschlossen wurde. Diese besteht einerseits aus einem fixen Datensatz beim RKI. Dieser kann bei Antrag verwendet werden. Parallel entsteht unter der Führung der Initiatorengruppe bei der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren die sogenannte PLATO II-Plattform. Sie bringt einen essenziellen Mehrwert für Forschende, denn dort können die bundesweiten Krebsregisterdaten mit anderen Forschungsdatenbanken erweitert und vernetzt werden – zum Beispiel Krankenkassen oder Gewebedatenbanken. „Wir arbeiten an der Infrastruktur und den datenschutzrechtlichen Grundlagen“, berichtet Benz. „2024 wollen wir starten.“

Denn der Bedarf ist da: „Wir müssen mit den Leitlinien vorankommen, denn wir haben Evidenzlücken – offene Forschungsfragen, die wir mit PLATO II relativ leicht schließen können.“ Die Effekte werden überall in Deutschland zu spüren sein, dank Prof. Dr. Stefan Benz ist der Klinikverbund ganz vorne mit dabei: „Patienten im Klinikverbund erhalten dadurch perspektivisch eine bessere Behandlung, weil sie von neuesten Erkenntnissen rascher profitieren.“