Aus dem Klinikverbund Südwest

Verbundweites Zentrum für das "stumme" Organ

23.05.2018

Das Führungsteam der Nephrologie: Oberarzt Dr. Engin-Halil Ufuk, Vera Schilling (Teamleitung), Chefarzt Dr. Dirk Löhr, Giovanna Paci-Weißenbühler (stellv. Stationsleitung/Dialyse), Oberärztin Dr. Angelika Köhler

Klinik für Nieren- und Hochdruckerkrankungen am Klinikum Sindelfingen-Böblingen wird zertifizierte nephrologische Schwerpunktklinik

Die einzige ausgewiesene Akutklinik für Nieren- und Hochdruckerkrankungen in den Landkreisen Böblingen und Calw ist seit Kurzem auch von der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie (DGfN) offiziell als nephrologische Schwerpunktklinik zertifiziert. Die Klinik von Chefarzt Dr. Dirk Löhr in Sindelfingen bildet mit 27 stationären Betten und aktuell 17 Dialyseplätzen somit das Zentrum für Nieren- und Hochdruckkrankheiten im Klinikverbund Südwest. Wie wichtig gerade ein hochspezialisierter Zentralversorger auf diesem Gebiet ist, verdeutlicht ein Blick auf die Zahlen: „Allein die Zahl der Dialysepatienten steigt bei uns Jahr für Jahr zwischen drei und fünf Prozent an, insgesamt versorgen wir mittlerweile jährlich über 800 Patienten mit Nierenleiden“, so Dr. Löhr.

Während andere Organe sich bei Funktionsstörungen rasch bemerkbar machen, verhält sich die Niere leider oft still. „Wenn die Niere in ihrer Funktion eingeschränkt ist, dann bemerkt man das häufig nicht“, erklärt der Nephrologe. „Sie ist ein sogenanntes stummes Organ und verursacht erst Symptome, wenn die Nierenleistung unter 30 Prozent gefallen ist.“ Umso wichtiger sei es, so der Chefarzt, ab einem Alter von 60 Jahren regelmäßig den Urin untersuchen zu lassen und die Nierenwerte per Bluttest zu überprüfen ─ insbesondere dann, wenn Diabetes mellitus oder ein langjähriger Bluthochdruck vorliegen, die häufigsten Ursachen einer chronischen Nierenerkrankung. Treten im Rahmen der Tests Auffälligkeiten zutage, lässt sich die Nierenkrankheit durch weitere Laboruntersuchungen, Bildgebung und teils durch eine Nierenbiopsie sicher diagnostizieren.

Um dem „stummen Organ“ eine Stimme zu verleihen und die Versorgung nephrologisch erkrankter Patienten in allen Phasen und für alle Bereiche ihrer Erkrankung zu verbessern, hat daher die DGfN ein Zertifizierungsverfahren geschaffen, mit dem sich spezialisierte nephrologische Abteilungen einer strengen, unabhängigen Qualitätsprüfung unterziehen können. Mit dem gelungenen Nachweis des breiten Versorgungsspektrums am Klinikum Sindelfingen-Böblingen ist die Klinik von Dr. Löhr jetzt seit Kurzem die erst neunte von der DGfN anerkannte Schwerpunktklinik in Baden-Württemberg. Mit der Zertifizierung hat der Patient Gewissheit, auf sämtliche Therapiemöglichkeiten bei akutem und chronischem Nierenversagen zählen zu können. Neben aller Hämodialyseverfahren (Blutwäsche) und Peritonealdialyseverfahren (Bauchfelldialyse), die spätestens bei einer Nierenleistung unter zehn Prozent unausweichlich werden, bietet die Klinik auch für Notfallpatienten rund um die Uhr eine Dialyse auf der Intensivstation bei akutem Nierenversagen an.

In der Shunt-Versorgung kooperieren die Nephrologen dafür interdisziplinär mit den Kollegen der Gefäßchirurgie. Neben dieser engen Kooperation mit den Krankenhausstandorten innerhalb des Verbundes arbeiten die Sindelfinger Nephrologen zudem mit den niedergelassenen Praxen sowie bei einer anstehenden Nierentransplantation Hand in Hand mit den Transplantationszentren des Katharinenhospitals Stuttgart und der Universitätsklinik Tübingen zusammen. „Gerade die Kontinuität und Qualität in der Vor- und Nachsorge ist mit entscheidend für den Erfolg einer Transplantation“, weiß Dr. Löhr, der zusammen mit seinem Team Patienten oft über viele Jahre betreut. Die durchschnittliche Wartezeit auf ein Spenderorgan liegt aktuell bundesweit bei rund sieben Jahren. Und das, obwohl im Gegensatz zu anderen Organen die zusätzliche Chance auf eine Lebendspende besteht – bereits rund ein Fünftel sind hier mittlerweile Lebendspenden. „Es ist schade, dass offenbar viele Menschen erst über einen Organspendeausweis nachdenken, wenn sie im persönlichen Umfeld das jahrelange emotionale Auf und Ab eines nahen Angehörigen, der dialysepflichtig wurde, unmittelbar miterlebt haben“, so Dr. Löhr. Die Spendenbereitschaft ist in Deutschland aktuell auf dem niedrigsten Stand seit 20 Jahren angekommen: Die Stiftung Eurotransplant hatte bundesweit im vergangenen Jahr effektiv nur knapp 800 Spender registriert und etwas über 2.600 transplantierte Organe, im Vorjahr waren es zum Vergleich noch fast 3.000. „Es ist uns daher nach wie vor neben der Patientenbetreuung ein großes Anliegen, Aufklärungsarbeit im Hinblick auf die Organspendenbereitschaft zu betreiben“, betont der Chefarzt.

Ein weiterer Schwerpunkt der Sindelfinger Spezialisten besteht darüber hinaus in der Abklärung und medikamentösen Einstellung des schwer einstellbaren Bluthochdrucks mithilfe einer Kombination von Medikamenten. „Fast jede Nierenerkrankung führt früher oder später zu hohem Blutdruck, und ein hoher Blutdruck, der meist nicht durch die Niere ausgelöst ist, kann umgekehrt zur Einschränkung der Nierenfunkton führen“, erklärt der Nephrologe. Bei Diabetikern kümmert sich Dr. Löhr zudem darum, den Blutzucker optimal einzustellen, denn der Diabetes ist heutzutage die häufigste Ursache einer Nierenerkrankung, die zur Dialyse führt. Schließlich gehört die  Diagnostik und Therapie von sogenannten Autoimmunerkrankungen, die häufig mit einer Nierenbeteiligung einhergehen, zum erweiterten Spektrum der Abteilung. Hier findet in der Behandlung oftmals die sogenannte Plasmapherese statt, ein aufwändiges Verfahren, bei dem Blutkörperchen und Plasma getrennt werden und das Plasma durch eine Substitutionslösung ersetzt wird zur effektiven Entfernung unerwünschter Antikörper. Und so wie die Patienten bei Dr. Löhr in den Check-up gehen, muss er mit seinem Team mit der erfolgreichen Zertifizierung nun alle drei Jahre in einer umfassenden Rezertifizierung die hohe Behandlungsqualität nachweisen.